Sportlerinnen und Sportler haben mitunter sehr Geistreiches zu sagen und können von Erfahrungen erzählen, die auch für andere Bereiche des Lebens sehr wertvoll sein können. Aktuelle Aussagen von Menschen aus der Welt des Sports oder eigene Beobachtungen und Erlebnisse, die für die Spiritualität und den Glauben relevant sind, vertieft Alfred Jokesch in diesem Blog und verknüpft sie pointiert mit dem alltäglichen Leben.
5. Februar 1976. Franz Klammer steht im Starthaus zur Olympiaabfahrt am Patscherkofel. Es wird ganz ruhig um ihn herum. Der Druck, der auf den Schultern des 22-jährigen Kärntners lastet, ist enorm. Ganz Österreich erwartet von ihm die Goldmedaille. Sehr eindrucksvoll baut der Film „Klammer – Chasing The Line“ den Spannungsbogen auf diesen entscheidenden Moment hin auf und legt Klammer, bevor er ins Tal rast, als letzten Gedanken in den Kopf: „Nit hoffen, nit wollen – wissen!“ Der Rest ist 1:45,73 Minuten später Schigeschichte.
Das ist 46 Jahre her, aber noch immer Inspiration. Ganz bei sich selbst zu sein, auf seine innere Stimme und die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, gegen alle Einflüsterer und Besserwisser seiner Linie treu zu bleiben und sich nicht verbiegen zu lassen, das erweist sich nicht nur als Schlüssel zu sportlichen Erfolgen, sondern auch zu einem erfüllenden Leben. Oft spüre ich in mir ganz deutlich, was für mich stimmig und richtig ist, bringe aber nicht die Kraft auf, aus vorgegebenen Spuren auszubrechen, in mich gesetzte Erwartungen abzuschütteln, vermeintliche Sicherheiten loszulassen und mich in unbekanntes Terrain vorzuwagen. Aber ebenso habe ich erlebt: Wenn ich die feste Gewissheit gefunden habe, was mein ureigenster Weg ist, und den Mut aufbringe, diesem Wissen zu trauen, dann tun sich ganz neue Türen auf und es werden ungeahnte Kräfte frei.
Österreichs Fahnenträgerin in Peking, die Snowboarderin Julia Dujmovits, sagte jüngst in der Kleinen Zeitung: „Wenn ich mich in ein System hineindrängen lasse, verliere ich Energie.“ Seit sie aber gelernt habe, auf ihr Herz zu hören, mache sie nur noch Dinge, die sie begeistern. Und Begeisterung strahlt aus, sie wirkt entfesselnd. Zu meiner Priesterweihe habe ich den Psalmvers als Motto gewählt: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ (Ps 18,30) Jesus sagt: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort! und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.“ (Mt 17,20) Ein Glaube so groß wie ein Senfkorn reicht aus, um nicht zu hoffen, sondern zu wissen und Unmögliches zu vollbringen. Wie ein Senfkorn – das sollte doch schaffbar sein.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
Wenn in wenigen Tagen die olympischen Delegationen aus aller Welt nach Peking anreisen, werden sie in eine große Bubble eintauchen – oder genauer gesagt in viele kleinere, um nicht mit der Bevölkerung in Berührung zu kommen und untereinander nicht mehr als unbedingt nötig. Begründet wird dies – verständlicher Weise – als Schutzmaßnahme, damit Olympia nicht zu einem gigantischen Pandemie-Hotspot wird.
Ich werde aber den Verdacht nicht los, dass die Omikron-Welle den chinesischen Veranstaltern ganz gut in die Karten spielt und ihnen diese Blasenbildung auch aus anderen Gründen gelegen kommt. So kann ja gleich elegant unterbunden werden, dass die Sportwelt etwas von Menschenrechtsverletzungen im Land mitbekommt, und mögliche Protestkundgebungen oder Solidaritätsbezeugungen werden im Keim erstickt.
Es gibt mir doch zu denken, wenn sportliche Großevents gehäuft in Staaten mit totalitären Regimen abgehalten werden, die sie zur Imagepolitur und Selbstdarstellung benutzen. Dies gesellt sich zu der Tatsache, dass Sportverbände wie das IOC oder die FIFA selbst kaum ernsthafte demokratische Strukturen entwickelt haben, was sie anfällig macht für Intransparenz und Bestechlichkeit. Da liegt Vieles im Dunkeln.
Der Apostel Paulus sagt: „Lebt als Kinder des Lichts! Denn das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor. … Habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, … deckt sie vielmehr auf!“ (Eph 5,8-11) Es ermutigt mich, dass gegenwärtig viele solche Bubbles der Korruption, der Vertuschung und des Missbrauchs aufpoppen und „Werke der Finsternis“ ans Licht kommen – sei es im Sport, in Politik und Gesellschaft, oder auch in meiner Kirche, wo dies gerade in München oder durch das Coming-Out vieler queerer Mitarbeitenden geschieht. Gott sei Dank! Sich der Wahrheit zu stellen ist schmerzhaft, aber es befreit aus der Blase und führt zum Licht.
Sollte dieser Blog nach wenigen Tagen aus dem Netz verschwunden sein, betrachten Sie es als Indiz dafür, dass mein Verdacht nicht gänzlich haltlos war!
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
„Ich bin heute nicht bereit dafür.“ Nicole Schmidhofer stand quasi schon am Start zum Abfahrtstraining in Zauchensee, als sie spürte, dass sie sich nach ihrer schweren Verletzung im Vorjahr die Belastung dieser Strecke noch nicht wirklich zutraut, und nicht nur dieses Rennen, sondern auch die Chance zu einer Olympiateilnahme sausen ließ. Ich habe größten Respekt vor dieser Entscheidung, die alles andere als Feigheit ist. Sich selbst und anderen die eigene Schwachheit einzugestehen, dazu braucht es wahrscheinlich noch mehr Mut als dazu, sich eine Abfahrtspiste hinunterzustürzen.
Im Spitzensport kann von dieser Fähigkeit das Überleben abhängen. Aber auch für uns „Normalsterbliche“ ist Mut zur Schwachheit viel öfter angesagt als wir glauben. Meine Erfahrung ist die, dass das Bauchgefühl meistens ganz richtig liegt. Wie oft kommt es vor, dass wir tief im Innersten sehr schnell spüren, wenn etwas nicht richtig läuft, wenn wir auf unserem Lebensweg in eine falsche Richtung abgebogen sind, wenn sich innere Widerstände aufbauen, wenn Sand im Getriebe ist?
Mich wundert es oft, wie lange es dauern kann, bis ich fähig bin, mir einzugestehen, dass ein Weg, den ich einmal eingeschlagen habe, sich als Sackgasse erweist, dass er sich falsch anfühlt und mich von meinen Lebenszielen oder meiner Berufung immer weiter wegführt, dass er meine Lebenskräfte blockiert, statt mich zu beflügeln. Und noch viel länger braucht es, bis ich endlich den Mut aufbringe, von dem falschen Weg abzurücken, umzukehren oder neu zu beginnen. Viele sind ihr ganzes Leben lang nicht dazu in der Lage und leben so an ihrem eigenen Wesen vorbei. Deshalb: Mut zur Schwachheit! Niemand muss alles können. Letztlich ist der Mut zur Schwachheit wohl für uns alle eine Überlebensfrage bzw. eine Lebensfrage.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
Vom „Mythos Streif“ war während des Hahnenkammwochenendes in Kitzbühel immer wieder die Rede. Als „Tempel des Schisports“ bezeichnete der Franzose Johan Clarey die legendäre Abfahrtsstrecke, nachdem er auf Platz zwei gerast war und damit sich selbst einen Eintrag in den Geschichtsbüchern sicherte. Mit 41 Jahren ist er nun der älteste Fahrer im Schi-Weltcup, der je auf einen Siegespodest stand. Das Attribut „historisch“ verdiente sich auch der erste Sieg eines Briten durch Dave Ryding im Slalom.
Viele Diskussionen gab es aber wegen einer Veränderung an der Strecke. Unterhalb der Hausbergkante wurde eine Stelle, an der es in den vergangenen Jahren wiederholt zu schweren Stürzen und Verletzungen gekommen ist, entschärft. Haben die Grabungsarbeiten am Mythos der Streif gekratzt? Sind sie ein Sakrileg an dem „heiligen“ Berg? Braucht es, um den Mythos von der schwierigsten Abfahrt der Welt zu füttern, auch Opfer? Rennläufer beschreiben diese Fahrt durchwegs als einen Kampf gegen den Berg. Entweder man bezwingt ihn, oder man wird gnadenlos abgeworfen. Schaden demnach bessere Sicherheitsvorkehrungen der Mythenbildung?
Mythen sind zutiefst religiöse Phänomene. Sie sind für eine Gemeinschaft identitätsstiftend und sinngebend. So gehören etwa für die „Sportnation Österreich“ Ereignisse wie Cordoba oder Franz Klammers Olympiasieg zu deren Gründungsmythen, die noch heute beschworen werden. Mythen sind mit andächtig zelebrierten Ritualen und der Verehrung von „Helden“ verbunden. In religiösen Kulthandlungen spielen auch Opfer eine bestimmte Rolle. Aus christlicher Sicht sind jedoch Opfer, sofern sie gewaltsam und zerstörerisch sind, überholt. Jesus sagt: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Und auch der „Religion“ des Sports tut eine Entmythologisierung manchmal gut. Insofern bin ich froh, dass die Hahnenkammrennen heuer ohne „Opfer“ und Verletzte über die Bühne gegangen sind.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark